Sie hatten bislang noch nichts von den Abkürzungen ECHA, REACH, PAFI und TEL gehört?
Wenn Sie nicht auf Avgas 100LL als Treibstoff angewiesen sind, dann sind die auch nicht wichtig für Sie. Falls doch, immerhin benötigen geschätzt 16.000 Luftfahrzeuge in Europa noch Avgas 100LL, dann sollten Sie diesen Artikel genauer lesen.
Zunächst zu den Grundlagen:
ECHA ist wie die EASA eine Agentur der Europäischen Kommission, sie hat ihren Sitz in Helsinki und ist als „European Union Chemicals Agency“ für Chemikalien und Umweltschutz zuständig.
REACH ist eines der zentralen Programme der ECHA, die Abkürzung steht für „Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals“. Im Rahmen von REACH haben sich die Umweltschützer im Herbst 2019 der Substanz Tetraethylblei (TEL) angenommen, dem bleihaltigen Additiv im Flugkraftstoff Avgas 100LL. Eine Risikoanalyse hat die Gefährdung von Bürgern und der Umwelt durch TEL als signifikant eingestuft. Der einzig verbliebene TEL-Hersteller auf dem Weltmarkt hat seinen Sitz in Großbritannien. Früher wurde TEL in allen Automobilkraftstoffen verwendet, dort konnte man es aber bereits vor über 40 Jahren erfolgreich ersetzen. In der Luftfahrt hat man das aber noch nicht geschafft. Wer meint, dass dieses Projekt mal wieder ein rein europäisches Verwaltungsphänomen ist, der sei auf das Projekt PAFI in den USA verwiesen. Mit Hilfe der „Piston Aviation Fuels Initiative“ versuchen die Luftverkehrsbehörde FAA und die Industrie in den USA bereits seit Jahren einen neuen bleifreien Nachfolgekraftstoff zu entwickeln, um dann das Avgas 100LL, das von verschiedenen Umweltgruppen angegriffen wird, vom Markt nehmen zu können. Allerdings liefert das PAFI-Projekt trotz jahrelanger Forschung und Entwicklung noch nicht die gewünschten Ergebnisse, die Aufgabe einen ohne weiteren Aufwand 1:1 austauschbaren Nachfolger zu finden ist offenbar nicht trivial.
Oder gibt es bereits den erlösenden Durchbruch? Einen Erfolg bei der Suche nach einem bleifreien hochoktanigen Avgas hat offenbar der US-Hersteller GAMI zu verbuchen. Anlässlich der EAA Convention in Oshkosh wurde ein Supplemental Type Certificate für einen bleifreien 100 Oktan Kraftstoff vorgestellt, das sich bislang nur auf die Cessna 172 bezieht, aber erweitert werden soll. Siehe auch der Artikel unserer Kollegen der AOPA USA: GAMI receives unleaded avgas STC – AOPA
Fraglich ist, ob die verwendeten Aromate als Additive in Europa zulassungsfähig sind. Davon wird abhängig sein, ob das neue Produkt den erhofften Durchbruch in der Frage darstellt. Wir sind gerade dabei zu recherchieren und melden uns sobald wie möglich mit einer Aktualisierung.
Im Juni 2021 wurde eine Empfehlung der EU-Kommission ausgesprochen, für den Import und die Verwendung von TEL eine Authorisierung zu verlangen. Was kommt letztlich dabei heraus? Das weiß heute leider noch niemand, da es sich um einen politischen, als auch einen technischen Prozess mit mehreren Verfahrensstufen handelt. Die Bandbreite der Möglichkeiten lässt sich aber beschreiben:
Im besten Fall hat das für den Endkunden gar keine Konsequenzen: Die Authorisierung für TEL erfolgt, die Substanz darf weiter importiert und verarbeitet werden, in der Zwischenzeit wird entweder bei PAFI in den USA oder in Europa eine längst überfällige bleifreie Treibstoffalternative entwickelt und am Markt eingeführt.
Im schlechtesten Fall erfolgt eine Authorisierung von TEL nicht, weil sie entweder nicht von der Industrie beantragt, oder von den Behörden nicht gewährt wird. Auch ein das Gesamtproblem auflösender bleifreier Nachfolgetreibstoff wird nicht rechtzeitig entwickelt. In diesem Fall dürfte TEL nach einer Übergangszeit, ab dem sog. „Sunset Date“ im Herbst 2024, nicht mehr als reine Substanz in die EU eingeführt werden, nur noch als 1 Promill-Verdünnung im Avgas. Das wiederum hätte zur Folge, dass das europäische Avgas 100LL in der nächsten verfügbaren Raffinerie außerhalb der EU – die wäre derzeit in den USA – produziert und dann nach Europa verbracht werden müsste. Das könnte nach ersten Schätzungen den Preis von Avgas 100LL um bis zu einem Euro pro Liter verteuern und damit aus dem Markt nehmen.
Was macht die europäische IAOPA jetzt? Gemeinsam mit den Verbänden GAMA (GA-Hersteller), EAS (Europe Air Sports), EBAA (European Business Aviation), EHA (European Helicopter), ERAC (Europäische Regionalflugplätze), ECOGAS (GA Fachbetriebe) und IAAPS (Flugschulen des Luftfahrtpersonal) haben wir eine Erklärung abgegeben, mit dem Ziel eine Verschiebung der Authorisierung zu erreichen, bis eine unverbleite Treibstoffalternative auf dem Markt ist. Die weitere Nutzung TEL lässt sich nicht dauerhaft verhandeln, ganz ehrlich: Diese Substanz muß so schnell wie möglich weg, sie schadet nicht nur biologisch, sondern uns auch politisch. Leider haben Motoren- und Treibstoffhersteller hier Jahrzehnte mehr oder weniger untätig verstreichen lassen.
Zudem wollen wir ein europäisches Forschungsprojekt, es gibt bereits einen Hersteller, der ein Patent angemeldet hat, aber noch nicht über eine Luftfahrt-Zertifizierung verfügt. Aktiv unterstützt werden wir bei diesem Vorschlag für ein europäisches Entwicklungsprogramm von der EASA.
Was sollten Sie als Betroffene machen? Sie sollten sich erkundigen, ob Ihr Motor vielleicht schon mit unverbleitem Avgas UL 91/96 betrieben werden kann. Vor der Anschaffung eines neuen Flugzeugs sollten Sie sich Gedanken darüber machen, ob Sie das unbekannte Ausfallrisiko der Avgas 100LL Versorgung auf sich nehmen, oder auf ein Flugzeug zurückgreifen, das kein Avgas 100LL benötigt. Dann sind Sie auf der sicheren Seite.
Die nächsten Wochen und Monate werden uns einer Entscheidung näherbringen. Wir werden uns weiterhin gemeinsam mit den anderen Verbänden Gehör verschaffen und Sie informiert halten.
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