So wie bislang geht es offensichtlich nicht weiter mit der Flugmedizin, da ist man sich unter Privatpiloten und ihren Verbänden einig. Denn die Untersuchungen verursachen alle Jahre wieder unnötigen Stress. Denn wir Privatpiloten müssen in Abhängigkeit von unserem Alter einmal im Jahr, alle zwei Jahre oder in jungen Jahren alle fünf Jahre zum Flugmediziner, um uns auf Flugtauglichkeit überprüfen zu lassen. Wer jung und kerngesund ist nimmt das locker. Alle anderen eher nicht, die Piloten gehen dann aus gutem Grund recht angespannt zu den Untersuchungen: Denn eigentlich kennt jeder in seinem Bekanntenkreis Fliegerkollegen, die offensichtlich gesund und aktiv durchs Leben gehen und Auto fahren, aber trotzdem monatelang auf ihr Medical warten müssen oder es sogar ganz verlieren.
Denn das System unserer Flugmedizin, das auf den Grundlagen der flugmedizinischen Erkenntnisse der Militärs im ersten Weltkrieg beruht und zum großen Teil von der ICAO übernommen wurde, ist für Berufspiloten größtenteils angemessen, Anpassungen an aktuelle medizinische Erkenntnisse wären allerdings auch hier wünschenswert. Aber für Privatpiloten sind die Anforderungen schlichtweg überzogen, und nicht an das tatsächlich sehr geringe Risiko angepasst. Zudem ist das System in Europa viel zu formalistisch umgesetzt, einzelnen Ärzten traut das EU-System der Flugmedizin kaum noch Entscheidungen zu.
Im Rest der Welt renoviert man das System gerade. In Großbritannien und den USA hat man schon sehr interessante Lösungen gefunden:
In Großbritannien gibt es für nationale Lizenzen die Selbsterklärung der flugmedizinischen Fitness, die von Piloten online an die Behörde geschickt wird. Die sog. „Pilot Medical Declaration“ (PMD) erfolgt über ein Online-System mit dem Namen CELLMA. Nur für internationale Flüge und bei bestimmten medizinischen Problemen benötigt man noch ein Medical vom Flugmediziner.
In den USA gibt es das System des BasicMed für Piloten, die die strengeren Anforderungen des Medicals der dritten Klasse vermeiden wollen. Hierbei setzt die FAA verstärkt auf die Eigenverantwortung der Privatpiloten, die ja auch an allen Tagen zwischen den flugmedizinischen Untersuchungen selbst für die Beurteilung ihrer Flugtauglichkeit zuständig sind: Sie müssen selbst Entscheidungen treffen, ob sie noch bei laufender Nase fliegen wollen oder es sicher können. Bei stationären Krankenhausaufenthalten, Operationen und schweren Erkrankungen ist das natürlich anders, da muss man auch wieder zum Fliegerarzt.
Bei BasicMed kann der Pilot zu jedem zugelassenen Arzt gehen und sich die Selbstbewertung gemäß einer gegengezeichneten offiziellen Checkliste bestätigen lassen. Mit diesem Medical darf man dann in den USA und in einigen benachbarten Staaten fliegen, und zwar grob zusammengefasst mit Flugzeugen bis 5.700 kg und mit bis zu sechs Passagieren, auch unter IFR. Bislang haben bereits 80.000 Privatpiloten das BasicMed beantragt, die Tendenz ist weiter steigend.
In Deutschland stelle die Flugmedizin über Jahrzehnte kein großes Problem dar: Vor einigen Jahren konnte man in Deutschland noch zu seinem Flugmediziner gehen, mit ihm offen über Probleme reden, und dann gab es ein Ergebnis: Im Zweifelsfall und bei Kleinigkeiten haben Flugmediziner für die Piloten entschieden, nach dem Motto: „Klappt schon! Aber wenn es Ihnen schlechter gut geht, bleiben Sie lieber am Boden und kommen nochmal bei mir vorbei.“ Und tatsächlich, das System hat sicher funktioniert. Inzwischen hat sich vieles geändert. Durch die EASA-Vorgaben wurden die Verfahren komplizierter, ein Fliegerarzt hat viel weniger Entscheidungsfreiräume und deutlich anspruchsvollere Dokumentationspflichten. Und offenbar sieht sich das LBA, als die für Flugmedizin zuständige Stelle in Deutschland, in der Verantwortung die Flugmedizin besonders streng zu prüfen, Entscheidungen in Frage zu stellen und auch die Anzahl der Flugmediziner deutlich zu reduzieren. Früher hatten wir in Deutschland ca. 500 Flugmediziner, inzwischen sind es nur noch
weniger als 300. Begründet wurde mir das mal so: „Die Ärzte mit wenigen Überprüfungen haben ja oft keine Ahnung von den Verfahren, die will man gar nicht mehr.“ Dies hat zur Folge, dass es in manchen dezentralen Regionen Deutschlands keine Flugmediziner mehr gibt.
Im Vergleich zu allen anderen EASA-Staaten macht man es sich aber in Deutschland viel schwerer. Die Abarbeitung der Fälle im LBA ist so langsam und so fehlerhaft wie sonst nirgendwo in Europa, so dass das zuständige Verwaltungsgericht Braunschweig durch Klagen von Piloten überlastet ist. Wie die ausgeschiedene LBA Juristin Nina Coppik es öffentlich und ohne diplomatische Filter schildert, ist das LBA-Personal sowohl medizinisch als auch verwaltungsrechtlich zum großen Teil unzureichend qualifiziert, die Führungskräfte führen nicht, gute Mitarbeiter verlassen das LBA und die Stimmungslage ist insgesamt schlecht. Die Behördenleitung akzeptiert den Missstand offenbar, und die Dienstaufsicht beim Ministerium in Bonn ist träge, die Politik in Berlin hat andere Probleme, reagiert selbst auf Online-Petitionen
und Schreiben der Verbände nicht. Spannend ist, dass es in Deutschland auch ganz anders geht: Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) in Langen ist zuständig für die flugmedizinische Tauglichkeit der Fluglotsen. Beim BAF hört man keine Klagen, offenbar funktioniert hier alles wie am Schnürchen.
Warum wendet man die Arbeitsweise und den Führungsstil des BAF nicht auch im größeren Rahmen beim LBA an? Diese Frage sollte man sich im Verkehrsministerium einmal dringend selbst beantworten. Denn im Monat wandern derzeit etwa 50 deutsche Piloten in ihrer Not mit ihren Lizenzen aus, was wirklich beschämend für unsere Bürokratie ist. Besonders beliebt ist dabei das flugmedizinische Exil der Austrocontrol in Österreich. Dort nimmt man mit einem Dienstleistungsgedanken neue Kundschaft sogar gerne an. Die EASA erkennt offensichtlich auch, dass man in Europa auf dem Gebiet der medizinischen Standards für nichtgewerbliche Piloten im Vergleich zu den letzten Entwicklungen USA und Großbritannien hinterherhinkt. Von der formalistischen ICAO in Montreal wird so schnell keine Lösung für den ganzen Globus kommen. Aber es soll sich auch in Europa dringend etwas tun, die EASA sammelt deshalb derzeit Anregungen aus der Branche.
Was meinen Sie, wohin soll die Reise gehen, zu:
• mehr Entscheidungsfreiräumen für die Fliegerärzte? Sie müssen ja auch alleine über die Durchführung von Operationen und anderen medizinischen Behandlungen entscheiden, dafür sind sie ausgebildet.
• Selbsterklärungen der Piloten über ihre Flugtauglichkeit, ggf. ergänzt durch die Bestätigung eines Hausarztes?
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