Hintergrund der Empfehlungen ist ein von der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) Mitte 2024 veröffentlichter Bericht (BFU 21-0926-3X) über einen tödlichen Flugunfall, der während eines VFR/IFR Wechselverfahrens im Abflug vom Flugplatz Bonn-Hangelar passierte. Die Schlussfolgerungen am Ende des BFU-Berichts beleuchten insbesondere die Praxis von VFR/IFR Wechselverfahren in Deutschland. Piloten, die selbst VFR/IFR Wechselverfahren praktizieren, sollten diesen Bericht unbedingt lesen.
Unfallbericht der BFU
Eine zweimotorige Piper PA34-220T (Seneca V), für IFR-Flüge ausgerüstet und von einem Piloten mit IR-Berechtigung geflogen, kollidierte im Oktober 2021 kurz nach dem Start zu einem Flug mit Z-Flugplan von Bonn-Hangelar nach Hamburg mit ansteigendem Gelände des Siebengebirges. Es handelte sich um einen privaten Flug im Werksverkehr, bei dem Pilot und Fluggast zu geschäftlichen Terminen unterwegs waren. Die beiden Insassen kamen ums Leben, das Flugzeug wurde zerstört. An der Unfallstelle herrschten zum Unfallzeitpunkt Instrumentenflugwetterbedingungen (IMC).
Der Unfall ist gemäß dem BFU-Unfallbericht darauf zurückzuführen, dass der Pilot in IMC einflog und das Flugzeug in ansteigendem Gelände mit einem Hindernis kollidierte.
Der Flugplan für den Flug sah vor, am ca. 27 NM nordöstlich des Startflugplatzes gelegenen Wegpunkt BAMSU den Flugregelwechsel von VFR zu IFR durchzuführen. Als Reiseflughöhe war FL 120 geplant.
Die Seneca startete um 08:16:30 Uhr auf der Piste 29 vom Flugplatz Bonn-Hangelar. Der Flugleiter übermittelte telefonisch die Startmeldung an den Flugberatungsdienst (AIS).
Um 08:17:59 Uhr nahm der Pilot Funkkontakt mit Langen Radar auf und teilte mit, dass er 800 ft passiert hatte und auf 1.200 ft steigt. Die zuständige Radarlotsin gab gegenüber der BFU an, dass sie dem Funkspruch des Piloten nicht entnehmen konnte, wo das Flugzeug gestartet war und ihr auch kein Kontroll- oder Vorankündigungsstreifen für diesen Flug vorlag. Sie fragte ihren Koordinationslotsen, ob er Informationen über das Flugzeug habe, was dieser verneinte.
Die Radarlotsin erwiderte die Begrüßung des Piloten und forderte ihn zur Identifizierung der Flugzeugposition auf, die Ident-Taste zu drücken. Der Pilot bestätigte um 08:18:20 Uhr diese Aufforderung. Sie bemerkte dann
auf ihrem Monitor ein Radarziel mit dem VFR-Transpondercode 7000 und fragte um 08:18:28 Uhr, ob er von Bonn-Hangelar gestartet sei. Der Pilot antwortete mit einer Bestätigung. Daraufhin fragte die Lotsin den Piloten nach seinen Absichten bzw. ob er einen IFR-Flugplan aufgegeben hätte.
Nachdem der Pilot um 08:18:37 Uhr antworte und einen IFR-Pickup für den IFR-Flug nach Hamburg anforderte, sagte die Lotsin um 08:18:41 Uhr „Call you back.“ Sie bat den Koordinationslotsen, im System nachzuschauen, ob ein Flugplan vorliegen würde.
Als die Seneca um 08:19 Uhr die Flughöhe von 1.200 ft AMSL erreicht hatte, wechselte der Autopilot in den Altitude Hold Mode.
Der Koordinationslotse hatte den Flugplan, dessen Kontrollstreifen aufgrund der geplanten Route im Nachbarsektor vorgelegen hatte, gefunden und den für das Flugzeug vorgesehenen Transpondercode an die Radarlotsin weitergegeben. Um 08:19:34 Uhr übermittelte die Lotsin den Transpondercode an den Piloten. Der Pilot bestätigte den Code, und ab 08:19:52 Uhr wurde dieser Code abgestrahlt.
Etwa 4 Sekunden später überflog die Seneca mit 100 ft vertikalem Abstand den 1.100 ft hohe Nonnenstromberg. Die Radarlotsin teilte um 08:20:11 Uhr dem Piloten mit, dass das Flugzeug auf dem Radar identifiziert sei.
Außerdem wurde das Flugzeug für den Steigflug auf 3.000 ft freigegeben mit dem Hinweis „Maintain VMC“ und „Crossing Charlie approved”, womit der Luftraum C von Köln in diesem Bereich gemeint war. Die Anweisungen wurden vom Piloten bestätigt. Dies war der letzte Funkspruch des Piloten. Die Seneca wurde vom Radar zuletzt um 08:20:20 Uhr in einer Flughöhe von ca. 1.200 ft AMSL erfasst.
Das Flugzeug kollidierte kurz danach in ca. 1.200 ft AMSL mit dem Gelände. Bei dem Aufprall an einem bewaldeten Hang erlitten die Insassen tödliche Verletzungen, das Flugzeug wurde zerstört.
Beurteilung des Unfallgeschehens durch die BFU
Die BFU stellt in ihrem Unfallbericht fest, dass die festgestellten Spuren an der Unfallstelle, die Wrackverteilung und die Schäden am Flugzeug dafürsprechen, dass das Flugzeug mit konstanter Flughöhe und hoher Geschwindigkeit in das ansteigende Gelände einflog. Dies entspricht den typischen Merkmalen eines Controlled Flight Into Terrain (CFIT), so die BFU. Sie geht davon aus, dass sich der Pilot mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit darauf verließ, unverzüglich steigen zu können, um dann den IFR-Teil zu beginnen.
Die BFU ist davon überzeugt, dass der Pilot sich der Gefahr nicht bewusst war (mangelhaftes Situationsbewusstsein), dass er in der gewählten Flughöhe unmittelbar vor der Kollision mit dem Gelände stand. Dies ist neben mangelhafter navigatorischer Flugvorbereitung nur damit zu erklären, dass er keine Bodensicht gehabt haben kann. Sonst hätte er den Steigflug durchgeführt. Gemäß dem Untersuchungsbericht haben zu dem Unfall pilotenseitig drei Faktoren und ein systemischer Faktor beigetragen:
• Verlust des Situationsbewusstseins
• Mangelhafte navigatorische und meteorologische Flugvorbereitung
• Mangelhafte Kommunikation
• Nationale Restriktionen bezüglich IFR-Flüge im Luftraum Klasse G
Der hier genannte „systemische Faktor“ bezieht sich auf die Beschränkungen bezüglich IFR-Flüge im Luftraum Klasse G und der Handhabung von VFR/IFR-Wechselverfahren. Diesem systemischen Fehler widmet der Unfallbericht besonders große Aufmerksamkeit.
Beurteilung der Praxis von VFR/IFR Wechselverfahren durch die BFU
Im Luftfahrthandbuch AIP Deutschland sind unter Punkt ENR 1.8 die Verfahren für den Flugregelwechsel von VFR nach IFR (Z-Flugplan) festgelegt. Danach ist vor Beginn eines kontrollierten Flugs oder eines Flugabschnitts als kontrollierter Flug eine Flugverkehrskontrollfreigabe einzuholen. Der Flugregelwechsel von VFR nach IFR unterhalb der Minimum Vectoring Altitude (MVA) (Kursführungsmindesthöhe) kann nur auf veröffentlichten IFR-Verfahren durchgeführt werden. Ein Flugregelwechsel von VFR nach IFR in oder oberhalb der MVA kann auch außerhalb veröffentlichter IFR-Verfahren durchgeführt werden.
Darüber hinaus ist in der Betriebsanweisung Flugverkehrsdienste der DFS festgelegt, dass für die Erteilung der IFR-Freigabe der Kontrollsektor verantwortlich ist, in bzw. unterhalb dessen Zuständigkeitsbereich der IFR-Teil beginnt. Bei Abflügen von unkontrollierten Flugplätzen ist eine Streckenfreigabe nur zu erteilen, wenn die Calculated Take-off Time (CTOT) eingehalten wurde. Dem Piloten ist der Beginn des IFR-Teils mitzuteilen. Wird die IFR-Freigabe vor Einflug in den kontrollierten Luftraum erteilt, muss dem Piloten mitgeteilt werden, dass die IFR-Freigabe erst mit Passieren der MVA bzw. bei Erreichen des veröffentlichten IFR-Verfahrens im unkontrollierten Luftraum wirksam wird.
Auf Anforderung des Piloten kann die IFR-Freigabe vor dem Start erteilt werden, dies kann auch telefonisch durchgeführt werden. Hierbei ist die Gültigkeit der Freigabe zeitlich zu begrenzen. Nach Angaben der DFS bestand seinerzeit diese Möglichkeit einer telefonischen IFR-Freigabe „auf Grund der sonst potentiell sehr hohen Anzahl von Anrufen“ nur geschlossenen Nutzergruppen, wie z. B. die Bundespolizei in Bonn-Hangelar, zur Verfügung, so der BFU-Bericht.
Auch wenn das beschriebene VFR/IFR-Wechselverfahren bezüglich des Flugbetriebes von Hubschraubern der Bundespolizei vom Flugplatz Bonn-Hangelar mit der Ausnahme nach § 30 LuftVG begründet ist und dieser eine entsprechende „Bewegungsfreiheit“ aufgrund der hoheitlichen Aufgaben ermöglichen soll, zeigt es nach Ansicht der BFU beispielhaft, dass die Anwendung dieses Verfahrens und die entsprechende Kommunikation
effektiv und sicher möglich sind. Vergleichbare Verfahren werden in anderen Staaten für alle Verkehrsteilnehmer angewandt. Die BFU ist überzeugt, dass ein solches Verfahren den Zeitbedarf für die Kommunikation und Koordination senken und somit einen Beitrag zur Verhütung von Unfällen leisten würde.
Sicherheitsempfehlungen der BFU
Aufgrund der Ergebnisse der Flugunfalluntersuchung hat die BFU auf ihrer Internetseite die Flugsicherheitsinformation Nr. V182 mit Empfehlungen für Piloten veröffentlicht. Außerdem wurden von der BFU die folgenden beiden Sicherheitsempfehlungen herausgegeben:
06/2024
Die zuständige Flugsicherungsorganisation sollte zur Verbesserung der Kommunikation bei Flügen mit VFR/IFR-Wechselverfahren (Z-Flugplan) sicherstellen, dass der für den jeweiligen Startflugplatz zuständige Sektor der Bezirkskontrollzentrale vor dem Abflug kontaktiert werden kann. Dabei sollte sichergestellt werden, dass bei marginalen Wetterbedingungen der individuelle Transpondercode bereits kurz vor dem Abflug übermittelt
werden kann, um die Zeitdauer bis zur Identifikation des Luftfahrzeugs zu minimieren.
07/2024
Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) sollte sicherstellen, dass auf nationaler Ebene durch eine Anpassung der Luftraumstruktur und die Entwicklung entsprechender Verfahren die Voraussetzungen geschaffen werden, in Deutschland sicheren Flugbetrieb nach Instrumentenflugregeln im Luftraum Klasse G in Übereinstimmung mit den einheitlichen europäischen Regelungen (SERA) zu ermöglichen.
AOPA-Germany würde es sehr begrüßen, wenn die BFU-Empfehlungen von den zuständigen Stellen aufgegriffen und in die Tat umgesetzt werden. Das VFR/IFR-Wechselverfahren würde damit vereinfacht und vor allem
sicherer werden.
Jürgen Mies