Mit einem Jahr Verzögerung werden nun auch in Deutschland die standardisierten europäischen Luftverkehrsregeln, bekannt unter der Abkürzung SERA (Standardised European Rules of the Air), eingeführt (siehe AOPA Safety Letter). Am 5. Dezember diesen Jahres ist es so weit. SERA steht für die Harmonisierung der Luftverkehrsregeln, die Erleichterung der Freizügigkeit von Luftraumnutzern im europäischen Luftraum und für „die Schaffung eines transparenten Regulierungssystems, bei dem für die Akteure Rechtssicherheit und Berechenbarkeit gegeben sind“. So steht es im Vorspann der entsprechenden Verordnung (EU) 923/2012. Das mag aus Sicht der EU durchaus stimmen. Aber sie hat sicherlich nicht damit gerechnet, dass die einzelnen Staaten weiterhin an nationalen Regeln festhalten, auch in Deutschland.
Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) bereitet eine Novelle der Luftverkehrsordnung (LuftVO) vor, die eine Fülle von zusätzlichen Luftverkehrsregeln, insgesamt 48 Paragraphen, enthält. Im § 1 „Anwendbarkeit“ der im Entwurf vorliegenden LuftVO heißt es, dass die Verordnung die Voraussetzungen und Bedingungen für die Teilnahme am Luftverkehr regelt, soweit SERA nicht anwendbar ist oder keine Regelung enthält. Man mag lange über diese Formulierung nachdenken, Fakt ist, dass die Piloten nun gezwungen sind, zwei Verordnungen, nämlich SERA und LuftVO, parallel zu lesen, um sicher zu gehen, dass sie alle für sie zutreffenden Regeln im Luftverkehr wirklich kennen.
Aber wer sich wirklich die Mühe macht, beide Verordnungen zu lesen, wird entdecken, dass das gar nicht geht. Die SERA-Abschnitte sind nummeriert, die LuftVO ist in Paragraphen eingeteilt und verwendet andere Überschriften als SERA, und eine andere Reihenfolge der Themen. In SERA spricht man von „Mindesthöhe“, in der LuftVO von „Sicherheitsmindesthöhe“. In SERA sind die VFR-Mindesthöhen gemäß ICAO mit 500 ft über unbewohntem Gebiet und 1.000 ft über bewohntem Gebiet festgelegt. In der LuftVO kommt nun weiterhin eine Höhe von 2.000 ft für motorgetriebene Luftfahrzeuge bei Überlandflügen hinzu. Das war so in Europa nicht vorgesehen. Die Schaffung eines transparenten Regulierungssystems, wie von der EU vollmundig angekündigt, sieht anders aus.
AOPA-Germany hat schriftlichen Protest gegen diese im Entwurf vorliegende neue LuftVO eingelegt. Sie ist so nicht handhabbar und entspricht nicht dem europäischen Gedanken eines einheitlichen europäischen Luftraums, wie er sich mit SERA ausdrückt. Dass die neue LuftVO erst einige Monate nach SERA in Kraft treten wird, sorgt für zusätzlichen Unmut, ist aber in dem ganzen Geschehen nur eine Randnotiz.
Sollte es in Europa Schule machen, dass ähnliche Verordnungen oder Bekanntmachungen zusätzlich zu SERA erlassen werden, so bleibt von den europäischen Bestrebungen nach Vereinheitlichung und Erleichterung im Luftverkehr nicht viel übrig. Der Pilot wird weiterhin, nun zusätzlich zu SERA, eine Fülle von nationalen Luftverkehrsregelungen beachten müssen. Dass er dabei leicht etwas übersieht, liegt auf der Hand. Das schützt ihn bei einem Regelverstoß allerdings nicht vor einer Anzeige und einem hohen Bußgeld. Leider müssen wir seit längerer Zeit beobachten, dass im deutschen Luftraum die Anzahl der Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen Piloten wegen Verstöße gegen Luftverkehrsregeln offensichtlich zunimmt. Umso mehr müssen die Regeln im Luftverkehr so gestalten werden, dass sie von jedem Luftverkehrsteilnehmer verstanden und damit leicht eingehalten werden können.
SERA ist der richtige Schritt in diese Richtung. Die neue LuftVO, sollte sie in dieser Form in Kraft treten, ist eindeutig der falsche Schritt.